Nichts Geringeres als die „Abschaffung des privaten Wohnungsmarktes“ verlangten radikale Proteste in Berlin am Höhepunkt der Konflikte vor einigen Jahren. Nun ist es geschafft: Die Kiezversammlungen einigten sich heute mit dem Senat auf die endgültige Durchsetzung des „Rechts auf Wohnen“.
Zunehmende Wohnungsnot und ein Versagen von Scheinlösungen wie der gescheiterten „Mietpreisbremse“ von 2015 hatten die Grundsatzfrage gestellt: Warum leisten wir uns diesen privaten Wohnungsmarkt? Kann öffentliches Eigentum das nicht besser und billiger? Eine Kampagne begann – und siegte: Mit der Überschreitung der Schlüsselmarke von 89,67% öffentlichem Eigentum zum Januar dieses Jahres kann der private Wohnungsmarkt als überwunden gelten. Unser Rückblick zeigt eine unglaubliche Erfolgsgeschichte.
Privatwirtschaft kann Bedürfnis nach Wohnraum nicht stillen
Seit der Finanzkrise von 2008 machte sich in der Hauptstadt Wohnungsnot bemerkbar: Niedrige Zinsen und flatterhafte Aktienkurse trieben Investoren aus aller Welt dazu, Immobilien in Berlin aufzukaufen. Der Wohnungsmarkt galt als sicherer Hafen, in dem man immer höhere Preise verlangen konnte. Für die MieterInnen der Hauptstadt begann damit eine Zeit der Unsicherheit. Mietsteigerungen, Verdrängung, ein Ansteigen von Zwangsräumungen und Obdachlosigkeit waren die Folge. Kurz: Wohnungen in Berlin wurden immer teurer und immer weniger konnten sich sie leisten. Obwohl die Politik lange abwiegelte, nahmen die Konflikte zu. Initiativen wie Kotti & Co oder die MieterInnen der Otto-Suhr-Siedlung in Kreuzberg forderten die Re-Kommunalisierung ihrer einst mit staatlichen Fördergeldern erbauten Siedlungen. Auch der Mietenvolksentscheid des Jahres 2015 schlug in dieselbe Kerbe: Ein Wohnraumförderfonds sollte durch Ankauf und Neubau öffentliche Wohnungsbestände ausweiten. Der Entwurf konnte allerdings durch die geschickte Strategie des damaligen Senats nur teilweise in Gesetzesform gegossen werden. Auch in den Folgejahren wuchs der öffentliche Wohnungsbau nur ungenügend an – es fehlte das Geld. Das private Immobilienkapital sparte hingegen nicht – Ankäufe, Aufkäufe, Umwandlung in Eigentum und Weiterverkäufe zu Höchstpreisen heizten die Spekulationsblase in den folgenden Jahren noch an. „Der Zuzug und die akute Wohnungsnot sorgten dafür, dass die Menschen gezwungen waren, die hohen Preise für ein Dach über dem Kopf zu bezahlen. VermieterInnen konnten sich alles erlauben und die Mieten stiegen und stiegen. Einige meiner FreundInnen mussten sogar ausziehen und sich billigere Wohnungen suchen. Es wurde einfach zu teuer für sie.“, sagt Fabienne du Vinage von der Berliner Mietergemeinschaft. Diese setzt sich für die Rechte von MieterInnen ein.
Schritt für Schritt stellten die MieterInnen fest, dass Re-Kommunalisierung zwar notwendig war, aber nicht ausreichte, um die Probleme wirksam und nachhaltig zu lösen. Ihr neues Ziel war die Abschaffung des privaten Wohnungsmarktes. Deshalb forderten sie eine Überführung des gesamten Berliner Wohnungsmarktes in öffentliches und selbstverwaltetes Eigentum.
Umsetzung trotz Kritik
Diese Vorstellungen stießen anfangs auf harschen Widerstand (die Berliner Morgenrot berichtete).
„Betonkommunismus und DDR-Romantik“ warf FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja den Mieterinitiativen vor. „Ordnungspolitisch eine Todsünde“, sei das Programm – so die Vorsitzende der CDU, Monika Grütters.
Doch trotz aller Vorbehalte wurden schließlich erste Maßnahmen umgesetzt. Als ein Skandal über Bestechungsgelder aus der Immobilienwirtschaft an MitarbeiterInnen der Senatsverwaltung bekannt wurde, reichte es vielen BewohnerInnen der Stadt endgültig: Sie starteten in Rekordzeit einen Mietenvolksentscheid 2.0. Dieser forderte „Sand ins Getriebe der privaten Immobilienwirtschaft“. Maßnahmen waren eine Verdoppelung der Grunderwerbssteuer, eine Sondersteuer in Höhe von 25% auf sämtliche Immobiliengewinne und eine Luxuswohnsteuer auf Eigenheime und Mietwohnungen in den obersten Preissegmenten. Alle Einnahmen sollten in den öffentlichen Wohnungsbau fließen. Neubau im Luxussegment war damit nicht mehr profitabel und die Grundstückspreise sanken. Während öffentliche Akteure und Genossenschaften – befreit von den Sondersteuern – endlich wieder günstigen Baugrund fanden, folgte auf dem privaten Markt der Kollaps. Die Deutsche Wohnen AG (DW) – mit damals 100.000 Wohnungen Berlins größter Vermieter – geriet ins Wanken. Mit dem Verfall der Grundstückspreise sank das Eigenkapital des Unternehmens schlagartig. Nur eine Bundesbürgschaft konnte die Insolvenz abwenden: 89% der Kleinaktionäre stimmten für die Ãœbernahme der Deutschen Wohnen durch den Bund.
Die Mieterinitiativen fordern Mitspracherechte
Diese „Rettung“ wäre – ähnlich wie jene der Commerzbank einige Jahre zuvor – politisch folgenlos geblieben, hätte es nicht die „Wir sind systemrelevant!“-Bewegung gegeben. Sie setzte sich aus MieterInnen der Deutsche Wohnen zusammen. Sie forderten eine Ãœbertragung sämtlicher DW-Wohnungen in Landeseigentum und setzten sich zudem für mehr Mitspracherechte ein. „Wir wussten, dass nur so alle ein würdevolles Leben in Berlin haben könnten“ so Ismail Mousa von der Neuköllner Kiezversammlung. Zahlreiche Wohnungssuchende unterstützten die Initiative. Ein Grund dafür war, dass die Wohnungsnot nach wie vor nicht überwunden war. „Obwohl die Immobilien- und Grundstückspreise fielen, waren die Mieten nicht gesunken“, blickt Mousa zurück: „Also ging der Protest weiter, zusammen mit Menschen ohne und mit Aufenthaltsstatus.“ Eine Mietpreisobergrenze war vor dem Landesverfassungsgericht gescheitert und die ImmobilienbesitzerInnen wollten gerade wegen des Wertverlustes ihrer Wohnungen nicht auf Einnahmen verzichten. Sie bemühten sich gar um Mietsteigerungen.
Diese Entwicklung gab Auftrieb für die Vergesellschaftungsbewegung: Neben staatlichen Übernahmen und Re-Kommunalisierung forderten sie auch demokratischere Entscheidungsstrukturen.
Die Umwandlung der Deutsche Wohnen wurde zum Modellbeispiel. Unter hohem öffentlichen Druck übertrug der Bund seine Anteile dem Land Berlin. So wurde eine Demokratisierung möglich. Der Verwaltungsrat des umstrukturieren Unternehmens wurde zu gleichen Teilen aus MieterInnen, MitarbeiterInnen und VertreterInnen der Politik besetzt. Ähnliche Modelle wurden wenig später für die älteren Landeseigenen Unternehmen durchgesetzt.
„Den zahnlosen Mieterbeiräten wurde endlich ein Modell entgegengesetzt, das MieterInnen wirkliche Mitentscheidung ermöglicht“, sagt du Vinage.
Berlins Erfolgsmodell: „Kollektives Wohneigentum“
Die Vergesellschaftung sollte zum Modell für ganz Berlin werden: „Öffentliches Eigentum, günstige Miete, Demokratisierung“, war das Forderungs-Trio, mit dem die Parole „Wir sind systemrelevant!“ bald ergänzt wurde. Die Bedingungen waren günstig: Die gesunkenen Immobilien- und Bodenpreise sorgte dafür, dass der „Wohnraumförderfonds“ der Stadt endlich funktionierte. Die exorbitanten Preise für Immobilien waren niedriger und der Fonds verfügte wegen der erhobenen Grunderwerbssteuer über ausreichend Geld.
So kaufte die Stadt Berlin Immobilien auf. Zahlreiche Hausgemeinschaften übernahmen mit seiner Hilfe ihre Wohnungen auch direkt. Die Quote an öffentlichem, kollektivem und genossenschaftlichem Wohneigentum stieg in wenigen Jahren von 40% auf 75% an.
Dies ging nicht immer reibungslos: Es kam zu 6597 Enteignungsverfahren. Grund dafür war die Zweckentfremdung seitens der BesitzerInnen. Insgesamt wurden 29.980 Wohnungen zwangsenteignet. Wohnraum, der als überteuerte Ferienwohnungen, Leerstand und AIRBNB genutzt worden war, stand nun endlich wieder zur Verfügung, damit Menschen darin leben konnten.
Neubauten und Experimente im Wohnungssektor
Doch nicht nur die Vergesellschaftungsbewegung trug ihren Teil dazu bei, die Wohnungskrise zu lösen. Der Neubau von Wohnungen entspannte die Wohnungssituation Berlins. Der Bau wurde zu 97% von öffentlichen und genossenschaftlichen Unternehmen mit Bundes- und Landesförderung durchgeführt. Die restlichen 3% sind Einfamilienhäuser in Privatbesitz.
Während öffentlicher Neubau boomte, stagnierte die private Immobilienwirtschaft. Aus ihr heraus wurden nahezu keine neuen Investitionen getätigt. Da die Mieteinnahmen der Landeseigenen Unternehmen nach Abzug der Instandhaltungskosten zu 100% in Neubau fließen, erlebt Berlin heute eine neue Gründerzeit: ein demokratischer Bauboom, gekennzeichnet von kommunalen Wohnexperimenten und einer Renaissance des urbanen Siedlungsbaus mit Nachbarschaftsräumen und kommunalen Einrichtungen. Viele MieterInnen begreifen diese als Orte, um zusammenzukommen und sich auszutauschen.
Trotz einer verbissenen Kampagne der FDP gelang dem privaten Wohnungsmarkt kein Neustart. Die Quote an öffentlichem Eigentum steigt weiter; wenn auch langsam. „Die 90% Marke soll nächstes Jahr erreicht sein, so die Prognosen. Die gemeinschaftlich genutzten Räume sind eine richtige Bereicherung für uns“, lachte Mousa.
Zum Nachschlagen
Re-Kommunalisierung: Der Rückkauf bestimmter Bereiche (Wohnungen, Krankenhäuser, Energieversorgung etc.) durch die Kommunen. So wird private Spekulation verhindert und der Bereich in Gemeineigentum umgeändert. Es ist dann demokratisch kontrollierbar.
Vergesellschaftung: Ein Modell, bei dem Entscheidungen über Wohnungen und Infrastruktur von den Personen getroffen werden, die es direkt betrifft. Die Eigentumsrechte liegen dabei nicht nur bei der Stadt.
Bild: Michael Scheinost auf flickr.com / Lizenz: CC BY-NC-ND 2.0
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