„Die Personalquote ist für uns nur der erste Schritt“

Der Berliner Senat hat die Einführung fester Personalquoten für die Berliner Krankenhäuser beschlossen. Zugleich ist ein Runder Tisch zur Reform des Berliner Gesundheitssystems zusammengetreten. Berliner Morgenrot sprach mit Silke Hatmahl (Krankenschwester), die zur Vorsitzenden der neuen Kommission gewählt wurde.

Frau Hatmahl, Sie wurden zur Vorsitzenden des Runden Tisches zur Reform des Berliner Gesundheitssystems gewählt. Warum ist das System überhaupt reformbedürftig?

Hatmahl: Ich bin seit fast 20 Jahren Krankenschwester am Urban Krankenhaus. Dort habe ich in den letzten Jahren miterlebt, wie die Arbeitsbedingungen immer schlimmer wurden. Weil wir chronisch zu wenig Personal haben, sind viele KollegInnen überlastet und erleiden irgendwann einen Burn-out. Auch unsere PatientInnen leiden darunter. Wir können uns kaum noch angemessen um sie kümmern.

Gestern hat der Senat die Einführung einer Mindestpersonalbemessung an den Berliner Krankenhäusern beschlossen. Bis vor Kurzem hat er diese Fragen den Krankenhäusern selbst überlassen. Wie erklären Sie sich diesen Sinneswandel?

Hatmahl: Vor einiger Zeit sind wir an der Charité und in mehreren Vivantes-Häusern in den Streik getreten, um für eine bessere Personalbemessung zu kämpfen. Viele KollegInnen haben mitgemacht. Das Berliner Bündnis für mehr Personal im Krankenhaus hat dafür gesorgt, dass unser Arbeitskampf zum großen Thema in der Stadt wurde. Die Krankenhausleitungen haben dann von der Landesregierung eine politische Lösung verlangt, weil sie Wettbewerbsnachteile fürchten. Auch die Politiker hatten offenbar Angst, dass aus dem Streik eine größere Sache wird, die sie nicht mehr kontrollieren können (lacht). Also haben sie aus der Not eine Tugend gemacht und die Frage gesetzlich geregelt.

In den letzten Tagen haben sich die politischen Meldungen überschlagen. Nun hat auch der Spitzenverband der Krankenkassen (GKV) angekündigt, das bisherige Finanzierungssystem für Krankenhäuser, die sogenannten Diagnosebezogenen Fallgruppen (DRG), aufzugeben. Können Sie uns aufklären, wie beides zusammenhängt?

Hatmahl: Das DRG-System basiert auf Fallpauschalen für jede Behandlung. Wenn Sie also wegen einer Blinddarmoperation bei uns eingeliefert werden, bekommt das Krankenhaus eine feste Pauschale dafür. Das Problem daran ist, dass es dadurch einen Anreiz gibt, die Behandlung möglichst billig durchzuführen. Das geht soweit, dass Patienten sprichwörtlich „blutig entlassen“ werden. Andererseits werden OPs gemacht, für die es eine höhere Pauschale gibt, auch wenn sie gar nicht nötig sind. Dieses System ist auch das eigentliche Problem hinter der Personalnot auf den Stationen, weil es die Krankenhäuser in Konkurrenz zueinander setzt und unsere Geschäftsführungen um jeden Preis schwarze Zahlen schreiben müssen. Jetzt hat die Regierung zum Glück eine feste Personalquote für die Stationen beschlossen, um dem einen Riegel vorzuschieben. Dadurch erhoffen wir uns eine echte Entlastung im Arbeitsalltag.

Das freut uns für Sie. Aber aus welchem Grund wird nun auch außerhalb Berlins das DRG-System aufgekündigt?

Hatmahl: Neben Berlin hat auch das Saarland so eine Quote eingeführt. Weitere Bundesländer haben angekündigt, zu folgen. Dadurch wird das Fallpauschalensystem praktisch aus den Angeln gehoben, weil die Krankenhäuser sich nach dem Bedarf und nicht mehr nach dem Preis richten müssen. Die Krankenkassen wollten eigentlich an dem System festhalten, aber sie haben wohl keine Chance mehr gesehen und deswegen die Flucht nach vorne gewählt.

Um Alternativen zum bisherigen System zu entwickeln, hat der Senat gleichzeitig mit dem neuen Personalgesetz die Einrichtung des Runden Tisches beschlossen. Statt eines Fachmanns wurden Sie zur Vorsitzenden gewählt. Ist das nicht ungewöhnlich?

Hatmahl: Es sitzen vor allem Pfleger, Gewerkschafter, Patientenfürsprecher und auch Servicepersonal in der Kommission. Die waren es, die mich gewählt haben. Das sind auch die echten Fachleute, weil sie wissen, was sich im Krankenhausalltag verändern muss. Die Politik hat wohl dem großen Druck nachgegeben. Aber wir bleiben vorsichtig. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass sich die wirtschaftlichen und politischen Eliten wehren, wenn jemand echte Veränderungen erreichen will. Ich verlasse mich hauptsächlich auf meine Betriebsgruppe am Urban und meine KollegInnen und nicht auf die Versprechen der Politik.

Die Politik hat den Runden Tisch mit weitgehenden Rechten ausgestattet. Nun müssen Sie Verantwortung übernehmen. Welche Vorschläge werden Sie uns präsentieren?

Hatmahl: Erst einmal wollen wir eine breite Befragung in den Krankenhäusern organisieren, um festzustellen, was die Probleme und Bedürfnisse sind. Aus dem Arbeitsalltag heraus werden wir konkrete Modelle entwickeln. Unsere Maxime ist, dass sich Gesundheit nicht rechnen muss, sondern dass die Sorge von Menschen für Menschen im Mittelpunkt steht. Danach wollen wir das Gesundheitssystem umbauen. Wir sehen das als Teil einer breiteren gesellschaftlichen Veränderung, weil es die bisherige Konkurrenzgesellschaft ist, die uns krank macht. Die Personalquote ist für uns nur der erste Schritt.

Frau Hatmahl, wir danken Ihnen für das Gespräch.